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Das geht ins Auge, von Silvio Blatter, 2010

Dann fange ich mit einer Reihe von Gläsern an, gefüllt mit Pigmenten, dem Stoff, aus dem die Farbe ist. Der Stoff, aus dem die Bilder werden. Grün steht neben Grün, neben Grün. Töne, Tonstufen, ein Grünklang. Schon bin ich in der Ohrenwelt; dorthin will ich eigentlich nicht. Und warum habe ich mich für Grün entschieden? Reden über Malerei ist immer Annäherung an Malerei, es dreht sich in die Unschärfe, ins Ungefähre, ich meine, ich denke, ich spüre: Du verstehst mich doch. Du verstehst, was ich sagen möchte? Nein! Ich sage, dass wir schon mitten drin sind – in der Farbchose, in der Malerei. Das geht ins Auge.

Ohnehin das frische Grün der jungen Buchen, das kranke Grün der alten Kasernen. Wer stellt sich was darunter vor? Zeisiggrün? Ein sprechender Name, ein munterer Vogel. Böhmische Erde (grün), Schweinfurtergrün, Malachit, Undsofortgrün. Mit Akribie nutzt Doris Hahlweg die Eigenschaften ihrer Pigmente; sie weiß Bescheid, das ist ihr Handwerk, die erstaunliche Kenntnis der Grundstoffe, zu denen auch die Mal- und Bindemittel, Öle und Harze und Lacke und Geheimnisse zählen; denn Farbe ist Materie. Doris Hahlwegs Metier ist Malerei, der große gemeinsame Nenner der Bilder ist Farbe, welchen Namen sie auch immer trägt. Die Malerin stellt ihre Farben selbst her. Und wenn ein Atelier denn auch eine Küche ist, darf man salopp sagen, kochen kann jeder, die Kunst ist das Würzen.

Regen hat auch eine Farbe, ich würde sie unter den Grüntönen suchen und plötzlich merken, dass ja nicht der Regen, sondern die Luft, vielmehr der Himmel. Also die Fassaden der Häuser, die Strassen, die Kleider der Menschen, die Gesichter (auch der Hunde). Dass die Farbe des Regens eine Illusion ist – und der Regen eher eine Stimmung. Eine Grundierung. Ein Schleier. Ein Schimmern und Schillern. Eine Eintrübung meiner Brille: richtig, ich sollte die Brille putzen, dann könnte ich den Regenbogen sehen. Einige Bilder von Doris Hahlweg leuchten an verregneten Tagen ganz besonders schön auf. Sie scheinen auf das Licht der Regentage zu reagieren. Es ist diffus; und genau das sind sie nicht. Das Diffuse kommt in diesen Bildern nicht vor. Sie stehen ganz entschieden da.

Ich denke, nun sind wir bei den Pianisten angelangt. Ich sammle Aufnahmen, Bachs Goldberg Variationen, von Keith Jarrett über Andras Schiff zu Stadtfeld. Und dann der große Glenn Gould. Er fetzte sie 1955 in 38 Minuten herunter und 1982 brauchte er 58 Minuten dafür. Also ich will eigentlich vom Anschlag sprechen. Das macht ja den Pianisten aus, der individuelle, kreuzpersönliche, unverwechselbare Anschlag. Sein Gespür für Rhythmus und Klang obendrein. Und diesem Anschlag entspricht in der Malerei der Auftrag von Farbe: Ich spreche vom Herzstück der Malerei Doris Hahlwegs. Es lohnt sich, diesen Farbauftrag zu studieren, die Pinselführung, die Arbeit am Detail. Es lohnt sich, die Bilder aus der Nähe zu studieren. Bis auf Armlänge an sie heranzugehen, nah davor zu stehen, wie die Malerin bei der Arbeit. Nur dann sieht und erkennt man sie wirklich. Man könnte auch Abstand nehmen und die Gemälde mit dem Fernglas absuchen, abtasten, erleben. Sie öffnen sich im Detail, sie müssen derart erschlossen werden. Auf den ersten Blick sieht man weniger als die Hälfte.

Sie denkt die Dinge weg, die da sind (alles weg – was schon da war): Es ist Knochenarbeit... um frei zu sein, frei zu werden für das Neue. Ein Bild hat nur dann Berechtigung (denkt sie vermessen), wenn es ein Neues ist, ein noch nie Dagewesenes. Sie ist da rigoros.

Allerdings will das Neue gesucht und gefunden werden. Ob Suche und Findung immer zu trennen sind? Oder ineinander aufgehen, im Prozess, im entschiedenen Machen. Dabei geht die Malerin nie kalkulierend vor. Das Kalkül ist ein Störfaktor. Sie ist beim Malen auf Koinzidenzen aus: Farbe, Farbmasse, dickdünn, Pinsel, Spachtel. die agierende Hand... das Zusammenfallen, das Zusammentreffen, das Zwischen- und Nachspiel: sie reagiert direkt, sie handelt im Farbgeschehen.

Hell-Dunkel: Hahlweg hält die Unterschiede gering, sucht weniger den harten Schnitt als den schleifenden Übergang, das Geschmeidige. Das Leichte hat Gewicht in ihrem Denken; Rhythmus und Schwingung, der Atem des Bildes. Sensible Prozesse. Sie bezeichnet Primärfarben als Pole, zwischen denen ihre Farbenwelten sich entfalten, oszillierend. Am Ende birgt jedes Bild auch ein Geschenk, falls die Malerin es wahrnimmt, bereit ist, eine Erkenntnis, die Gewissheit; vielleicht etwas nur Minimales... so wie man die Luft dazwischen spürt, wenn Fingerkuppen sich aneinander reiben. Der Malprozess narrt und quält die Künstlerin: Aber nicht ausschließlich, er gewährt ihr auch großzügig Glücksmomente.

Lasuren, Struktur, Handschrift, Pinselspur, Verletzungen, Notwehr: Ein Bild stellt eine Handlung auf der Fläche dar. Jedes Bild hat eine Bildhandlung, sie ist weder erzählerisch, noch illustrativ. Die Bilder sind auch nicht abstrakt, denn Doris Hahlweg abstrahiert nie und nichts; weder Pflanze, Tier, Mensch oder Landschaft oder die Jahreszeiten und die vier Winde. Sie legt unverdrossen und unbeirrbar Farbe auf. Sie zeigt konkret Farbe, das Farbgeschehen ist das Rätselhafte, die Alchemie ihrer Bilder. Und manchmal schaut sie der Farbe auch zu (irritiert, staunend, einverstanden), sie lässt jedes Geschehen zu. Zunächst. Aber sie akzeptiert nicht jedes Resultat.

Weiß sie, was sie macht? Ja! Obwohl sie es im Augenblick des Farbgeschehens nur begrenzt wahrnimmt Die Spur ist meine Handlung, sagt sie. Arbeitsgang nach Arbeitsgang, Schichten, Durchblicke, transparente Passagen (man ahnt durch Farbhäute den Grund), Ränder, Überbleibsel von früheren Farbaufträgen, Farbtränen, Rinnsale... und vielleicht fließen ja auch die Stimmungen, Gedanken, die Gefühle der Malerin als Farbnuancen mit in die Bildhandlung ein. Ihr Wissen um die Bildwerdung, ihre Erwartungen und der Frustration, wenn der Prozesse enttäuschend verläuft und sie zwei linke Hände zu haben scheint, statt ein Händchen. Wenn sie ungelenk ist, statt differenziert und subtil und den Verdacht hegt, hinter ihrem Anspruch (und Können) zurückzubleiben, wenn sie Umwege in Kauf nehmen muss, durch Farbsümpfe und Malerinnenelend, bis das Ding dann leuchtet und dasteht, ihr Bild, das Neue.

Einen goldenen Mittelweg gibt es in ihrer Malerei nicht. Zufall ist für Doris Hahlweg ein tragender Begriff, das beständige Element der Arbeit. Vom Material her bereit sein, sich zu öffnen, sagt sie. Ohne Geduld funktioniert das nicht. Geduldig sein bedeutet auch, die Ungeduld auszuhalten. Zufall ist, was dir zufällt. Das Leben ist vielleicht mehr das Produkt von Zufällen als von Entscheidungen. Die Kunst mit Sicherheit nicht. Die Bilder, obwohl die Überraschung zum Werden gehört, dürfen nicht von Zufällen bestimmt sein. Das gelungene Bild ist immer zur Entscheidung getrieben worden.

Ganz unten liegt Aluminium, ein starrer Bildträger. Das Bild wächst von da unten her. Die Malerin weiss noch nicht, wie es werden will. Sie muss das Bild herauskitzeln. Es provozieren. Es erfinden. Dabei handelt es sich nicht um ein inneres Bild, die Malerin weiss kaum, was für Bilder in ihr angelegt sind. Sie erfährt es erst, wenn ein Bild sich zeigt, wenn es aus der Farb- und Formlosigkeit heraustritt, wenn es seinen Auftritt auf dem Bildträger hat. Aber wenn Doris Hahlweg nur hinschaut, geschieht nichts. Das Bild ziert sich, es zickt. Die Malerin muss sich bewegen. Und wie. Malen ist ein handfester und feinfühliger Vorgang. Ungemein direkt im Kontakt, in seiner Materialität, im Strich, im Hieb, im Wischen, im Beschleunigen, im Stoppen, im Laufenlassen. Farbe unterwirft sich nicht gern und selten freiwillig und wird erst dann fügsam, wenn es der Malerin gelingt sich selbst und ihr Material zu überlisten.

PS: Der Malvorgang hat Züge einer Versuchsanordnung. Dabei geht die Malerin anders vor als die strenge Wissenschaft: Sie nimmt nichts vorweg, Doris Hahlweg nimmt vor allem das Resultat nie vorweg, sondern lässt jedes Ergebnis zu. Doch am Ende steht immer die Gewissheit, kommt der Punkt, an dem sie sagt, es stimmt, es ist stimmig. Es ist nicht langweilig. Es birgt eine neue Erkenntnis. Die Farben klingen zusammen, die Formen stehen klar in der Fläche, das Bild ist ein dichtes Gewebe, ein vor Spannung knisterndes Farbgewebe. Im Idealfall etwas noch nie Dagewesenes.

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